(aus: ila #272 vom Februar 2004) Basteln an zapatistischen Welten Zehn
Jahre EZLN-Solidarität in Deutschland
Es steht außer
Zweifel, dass der Aufstand der Zapatistischen Armee zur nationalen Befreiung
(EZLN) gegen Rassismus, Ausbeutung und Neoliberalismus vom 1. Januar 1994 in
Südmexico viele Linke, auch in Deutschland, überrascht hat und zunächst viel
Interesse bis hin zu regelrechter Begeisterung geweckt hat. Ihr positiver und
antiavantgardistischer Bezug auf die "Zivilgesellschaft", d.h. die
Teile der Gesellschaft, die dem zapatistischen Verständnis nach die
Gesellschaft emanzipatorisch verändern wollen und nicht Teil des Staats- und
Parteienapparates sind, hat ihnen zu Recht den Ruf einer basisorientierten
Bewegung verschafft. Neu war neben der Abkehr vom marxistisch-leninistischen
Duktus auch der Anspruch, die Welt von unten verändern zu wollen, ohne die
Macht zu erobern - "für eine Welt, in die viele Welten passen!" So
rief die EZLN 1996 während des "Intergalaktischen Treffens gegen Neoliberalismus
und für die Menschheit" dazu auf, eine "Internationale der
Hoffnung" zu errichten, ein horizontales Netzwerk von
Basisorganisationen. Fasziniert hat viele solidarische Menschen weltweit der
explizit undogmatische Anspruch des Mottos "preguntando caminamos" (Fragend
gehen wir voran). Die ELZN betonte zudem, eine der größten Formen der
Solidarität mit der zapatistischen Sache sei es, im eigenen Land und im
eigenen Umfeld gegen Unterdrückung zu kämpfen, und sie richtete sich damit
nicht nur an chiapanekische Kleinbauern und -bäuerinnen, sondern an Frauen,
Homosexuelle, so genannte Minderheiten, ArbeiterInnen, Prostituierte,
Intellektuelle, Kunstszene, Jugendliche etc. Im Vergleich zu Italien, Spanien
und Lateinamerika war die Solidaritätsbewegung mit der EZLN in Deutschland
quantitativ immer kleiner, doch auch hier gab es bereits 1994 Versuche zur
Vernetzung von Solidaritätsgruppen. Der Koordinator des Infoverteilers
"Chiapas98" (pcl@jpberlin.de) - bis heute das wichtigste zapatistische
Informationsmedium auf deutsch -, stellte im Interview allerdings fest,
"dass es das eine bundesweite Netz nicht gab, sondern eher bundesweite
Netze, die allerdings nur sehr wenig miteinander kommunizierten". Die orthodoxen linken Gruppen waren durch die
unkonventionelle Art der EZLN z.T. sehr irritiert - Aussagen wie die folgende
waren für sie schwer verdaulich: "Jemand sagte, gegen den
Neoliberalismus zu sein, ist wie gegen das Gesetz der Schwerkraft zu sein.
Nun denn: Nieder mit dem Gesetz der Schwerkraft!" (Subcomandante
Marcos). Eine der zahlreichen Sekten zur Wiedergründung der KPD bemängelte in
ihrem Organ "Roter Blitz" dann auch, dass die EZLN lieber militant
ihre Dörfer verteidigen als Gedichte schreiben sollte - gemeint waren die
poetischen Kommuniqués, die der Bewegung weltweit so viele Sympathien
einbrachten. Da sich die orthodoxen Gruppierungen recht schnell aus der
Soli Debatte zurückzogen, rekrutierten sich die entstehenden
Solidaritätsgruppen mehrheitlich aus der autonomen und undogmatischen Linken.
Sie bildeten jahrelang das größte Netz und transportierten viele ihrer
Debatten in die neue Selbstfindungs- und Solidaritätsarbeit. So wurde u.a.
über einen unkritischen Solidaritätsbegriff, den Bezug auf die Nation, die
Frauenfrage und den Personenkult um EZLN-Sprecher Marcos diskutiert. Ein
wichtiger Punkt war auch immer die Frage, inwieweit "klassische"
Solidaritätsarbeit - d.h. wir-hier-unterstützen-die-Bewegung-dort -,
überhaupt nötig sei, wenn es doch den klaren Aufruf gebe, die wichtigste
Solidarität sei die Veränderung der eigenen Realitäten, der Kampf im Herzen
der Bestie. Armin aus Aachen, Netzaktivist der ersten Stunde und bis
heute dabei, fasst stimmungsmäßig die ersten Jahre des autonomen Netzes
zusammen: "Fing großartig an, zersplitterte sich lautstark und ist fast
verdurstet." Edo aus Münster schildert die "Höhepunkte" des
Ya-Basta!-Netzes: "Ich erinnere mich gerne an die tolle Anti-Expo-Aktion
anlässlich des ,Nationentages Mexico' 2000 in Hannover, die auch in Mexico
wahrgenommen wurde. Da bewährte sich die jahrelange Zusammenarbeit und das
kontinuierliche Engagement, das Vertrauen, das über die Jahre mit all den
Schwierigkeiten auf den vierteljährlichen Ya-Basta-Treffen gewachsen war.
Aber ohne die spontane Unterstützung lokaler Activistas hätte die
Anti-Expo-Aktion so nie stattfinden können." Einige "theorielastige" Aktive verließen im
Laufe der Jahre die solidarischen Kreise, da ihnen der angeblich
"reformistische" oder "nationalistische" Diskurs der EZLN
und die - häufig zu Unrecht unterstellte - "unkritische" Haltung
der verbliebenen Aktiven gegenüber den Zapatistas missfiel. Anderen ging es
auf Dauer zu wenig um die Kämpfe in Deutschland und Europa. Das Netz dünnte
sich durch interne Auseinandersetzungen Ende der 1990er aus und arbeitete von
1999 bis 2001 nur wenig im überregionalen Rahmen. Schwierig war damals, dass
die interne Kommunikation, eine gemeinsame "Wellenlänge", teilweise
verloren ging. Doch die Solidarität ist keineswegs verschwunden, mehrere
Kollektive arbeiteten kontinuierlich weiter und die heute aktiven Gruppen -
teils alt, teils neu - formulieren als ein Ergebnis der internen
Auseinandersetzungen den klaren Anspruch auf kritische Solidarität, um
Revolutionsromantik und Projektionen zu vermeiden, und die Notwendigkeit des
politischen Kampfes in der eigenen Gesellschaft, z.B. gegen Rassismus,
Militarisierung, sexualisierte Gewalt und Sozialabbau sowie für
unkommerzielle und autonome Freiräume. Nicht zu vergessen sind die kraftvollen Aspekte der
Netztreffen: "Auf den Treffen habe ich wahnsinnig viel Kraft getankt und
politisch hätte ich diese mageren Neunziger ohne die Yabastas nicht überlebt.
Ich habe im Netz die großartigsten Menschen kennen gelernt", gibt Armin
zu bedenken und diese Position ist des öfteren zu hören. Es ist ebenso
wichtig darauf hinzuweisen, dass es neben den Netzwerkversuchen immer viele
linke Einzelpersonen und Gruppen gab, die Spenden gesammelt, Proteste oder Informationsveranstaltungen
organisiert haben. Auch in humanistischen, progressiv-christlichen und
menschenrechtsorientierten Kreisen gab es Interesse für diese "Armee von
Träumerinnen und Träumern", wie sich die EZLN einmal selbst
charakterisierte, denn ihr poetischer Sprachstil und ihre konsequente Praxis
begeisterte privilegierte Intellektuelle, politische Punks, Feministinnen und
marginalisierte Campesinos und Campesinas gleichermaßen. Die Praxis der Solidarität ist seit 1997 auch durch die
Menschenrechtsbeobachtung vor Ort in Chiapas geprägt. Mehrere Hundert
Menschen haben seitdem an den obligatorischen Vorbereitungsseminaren der
Organisation CAREA e.V. (Berlin) teilgenommen - und viele von ihnen sind dann
tatsächlich auch nach Chiapas gereist. Die "Lehrstunden", die sie
durch ihre Aufenthalte in Friedenscamps in zapatistischen Gemeinden erleben
konnten, sind für viele "ein überaus wertvoller Teil der eigenen
Biographie. Gerade im Bereich Selbstorganisation können wir viel von den
Zapatistas lernen, wobei natürlich nichts direkt übertragbar ist" (eine
Ex-Campamentista). Vielleicht ist der Einsatz als FriedensbeobachterIn, das
spätere Berichten darüber und das lokale Weiterkämpfen viel wichtiger als
eine abgehoben-rechthaberische Theoriedebatte von "Schreibtischlinken",
die denen, die "anpacken" wollen, die Laune und den vielleicht auch
"naiven" Idealismus vermasseln? Zu erwähnen ist an dieser Stelle der Dank der Zapatistas
selbst für Informationsarbeit und Kampagnen, wie zum Beispiel die Proteste
auf der EXPO in Hannover am 20. August 2000 anlässlich des "Nationentag
Mexico" oder die bundesweite Demonstration zum 19. Geburtstag der EZLN
am 16. November 2002 mit über 400 Personen vor der mexicanischen Botschaft in
Berlin. Über beide Aktivitäten wurde auch in der mexicanischen Presse
berichtet. Die Zapatistas gehen fest davon aus, dass internationale Proteste
dazu beitragen, weitere Gewalt in der Aufstandsregion zu verhindern, da die
mexicanische Regierung unter Ex-Coca-Cola-Manager Fox um ein
"sauberes" Image bemüht ist. Der mexicanische Chiapas-Experte und
Mitgründer der linken Tageszeitung La Jornada Hermann Bellinghausen
bestätigte diese Einschätzung im Gespräch und betonte, dass die
internationale Aufmerksamkeit ein wichtiges Instrument sei, "um die
Regierung immer wieder unter Druck zu setzen". Noch im Juli 2003 würdigte auch Subcomandante Marcos die
Bedeutung der globalen Solidaritätsbewegung: "Wenn der Aufstand vom 1.
Januar 1994 wegen der verschwörerischen Mittäterschaft Tausender Indígenas
möglich war, so wurde der Aufbau der Autonomie in den Rebellengebieten durch
die Mittäterschaft Hunderttausender Personen verschiedener Hautfarben,
Nationalitäten, Kulturen und Sprachen, kurzum, verschiedener Welten
ermöglicht" (Marcos in: Der Kalender des Widerstandes, Frankfurt 2003). Das jüngste bundesweite Treffen von über 30
solidaritätsbewegten Einzelpersonen und Delegierten im November 2003 in
Gießen machte nach Aussagen der TeilnehmerInnen jedenfalls den Eindruck, dass
ein ehrliches Interesse an kritischer, anti-paternalistischer Solidarität mit
der zapatistischen Bewegung in Verbindung mit emanzipatorischen Kämpfen hier
besteht. Alte Sektierereien sollen nicht wiederholt werden, es geht eher um
eine "Solidarität der vielen Solidaritäten", so der Koordinator von
Chiapas98. Eine Aktivistin der Gruppe B.A.S.T.A. ergänzt zum Treffen:
"Mir scheint, dass der Zapatismus denjenigen, die schon lange dabei
sind, immer wieder neue Energie gibt und denjenigen, die neu dabei sind, den
Mut, etwas zu machen und zu verändern!" Die "neu-alte"
Solidaritätsszene fühlt sich seit gut zwei Jahren im Aufwind. Und das ist
immer wieder ein Grund zum Weitergehen und Weiterkämpfen. Und Weiterfragen. Luz Kerkeling -------------------------------------- Zehn Jahre EZLN-Solifonds der ila Im April 1994 war die damalige ila-Redakteurin Danuta
Sacher in Chiapas und sprach mit verschiedenen Verantwortlichen der EZLN,
u.a. mit Subcomandante Marcos. Die Compaņeros/as berichteten von ihren
Plänen, ein zapatistisches Radio aufzubauen und baten um Unterstützung dieses
Projektes. Weil es damals noch keine festen Strukturen in der Solidarität mit
den ZapatistInnen gab, entschied die ila, ein Solikonto für einen
EZLN-Medienfonds einzurichten. Wenig später, teilten uns die ZapatistInnen
mit, der Aufbau des Radio sei erst einmal verschoben, Priorität habe die
Unterstützung der zapatistischen Gemeinden. Aus dem Medienfonds wurde der
EZLN-Solifonds, die ZapatistInnen erhielten die eingegangen Spenden zur
freien Verfügung. In den ersten drei Jahren gingen auf dem Solikonto über 50.000
DM ein. Inzwischen gab es weitere Konten und Projekte der Solibewegung mit
den ZapatistInnen. Da wir konkurrierende Kampagnen für unsinnig hielten und
die ila nicht primär zu Chiapas arbeitete, entschieden wir Ende 1997,
nicht mehr offensiv mit dem Konto zu arbeiten und keine regelmäßigen
Spendenaufrufe mehr in der Zeitschrift zu veröffentlichen. Stattdessen wiesen
wir in Beiträgen und den "Notizen aus der Bewegung" auf die
Projekte und Spendenkampagnen anderer Gruppen hin. Allerdings gingen
weiterhin Spenden für den EZLN-Solifonds ein, wenn auch deutlich weniger als
in den Jahren 1994-97. In den letzten Jahren waren es noch einige
Daueraufträge, durch die eine dreistellige Summe im Jahr zusammenkam. Bis zum
31. Dezember 2003 hat die ila für den EZLN-Solifonds 35.469,25 Euro
gesammelt, die ohne Abzüge an die EZLN weitergeleitet wurden. Wir danken
allen SpenderInnen für ihre Solidarität mit den ZapatistInnen! -> Startseite Gruppe
B.A.S.T.A. |